Charlottenburger Goldjungs

Wer in die Goldhandlung Carl Schuhmann in der Kantstraße 107 möchte, muss erstmal klingeln. Durch die gläserne Tür wird er gemustert, bevor der Summton signalisiert, dass der Eingang frei ist. Zwei Überfälle machen solche Vorsichtsmaßnahmen nötig. Dabei ist Carl Schuhmann kein ängstlicher Mann, eher selbstbewusst, so wie auch schon sein Großvater.

Erinnern Sie sich noch? 1896 errang der Feinmechaniker Carl Schuhmann bei den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit in Athen mehrere Siege. Anfangs wurde er im Stadion aufgrund seiner geringen Körpergröße von 1,57 Metern noch ausgelacht. Dann aber erkämpfte er sich eine Goldmedaille im griechisch-römischen Ringkampf gegen den viel größeren Gegner Christopoulo aus Griechenland. Dieser Ringkampf ging in die Geschichte ein, weil der griechische Kronprinz nach mehreren Stunden an die Matte trat und darum bat, den Kampf zu unterbrechen: „Es wird dunkel und der König möchte nach Hause gehen.“ Am folgenden Tag gewann Schuhmann dann den Kampf gegen Christopoulo. Insgesamt sicherte er sich fünf Medaillen, davon viermal Gold, so dass der König am Ende der Spiele zu ihm sagte: „Sie sind ja populärer als ich!“
Carl Schuhmann ist in Sportkreisen bis heute bekannt, nach ihm sind eine Sporthalle in Charlottenburg sowie eine Medaille des Deutschen Turner-Bundes benannt.

Sein Sohn wurde ebenfalls ein Goldjunge, wenn auch in anderer Hinsicht: Er eröffnete im Jahr 1925 seine Goldhandlung in der Krummen Straße. Gelernt hatte er Gold- und Silberschmied. In seiner Familie war es damals schon üblich, nicht nur den Vornamen Carl an die männlichen Nachkommen weiterzugeben, sondern offenbar auch die Begeisterung für das glänzende Gewerbe. Und so wuchs wiederum dessen Sohn Carl, also der Enkel des Sportlers, in einer Umgebung auf, in der es normal war, dass sich vornehme Leute im Geschäft teure Uhren, goldene Ketten und Anhänger oder silberne Tabletts aussuchten. Oder sogar extra anfertigen ließen.

Nach dem Krieg musste das Geschäft umziehen, von der Krummen in die Wilmersdorfer Straße. Als der kleine Carl groß wurde, lernte auch er Goldschmied, machte seinen Meister und übernahm 1971 das Geschäft. 1990 folgte der Laden in der Kantstraße. Dieser wurde zum „Traumladen“ ausgebaut, gewölbte und mit Wurzelholz furnierte Flächen, Terrakotta-Fußboden, viel Glanz und Glänzendes und sogar ausgestattet mit einer eigenen Bar. In einem der Schaufenster steht ein gläsernes Regal mit zahlreichen kleineren Schmuckstücken. Die verkauft er im Namen anderer, privater Anbieter. Wer sich von einer teuren Uhr, einem Juwel oder einem goldenen Armband trennen möchte, kann es hier von Schuhmann verkaufen lassen.

Bald nun wird mit der Tochter die nächste Generation das Geschäft übernehmen. Doch der dritte Carl ist noch dabei. Wenn er die schmale Wendeltreppe im Laden in die erste Etage geht, steht er in seinem von außen unsichtbaren Reich: Viele Gerätschaften verteilen sich auf mehrere Räume: Öfen, Scanner, Schleudern, Messwerkzeuge, Waagen, Sägen, Schleifmaschinen, Wannen, Schälchen, Chemikalien, Lötkolben, Mikroskope, Galvanisierungsbäder, Pressen, Formen und Negativformen. Dazwischen mehr als hundert verschiedene Werkzeuge, deren Zweck rätselhaft bleibt. Diese Räume sind eine Mischung aus Werkstatt, Labor und Zauberhöhle, sie sind für Außenstehende, wenn sie das Privileg eines Besuchs genießen dürfen, spannend und geheimnisvoll. Die Ergebnisse der hier gefertigten Kunststücke sind im Schaufenster zu bewundern, wenn sie denn nicht am Handgelenk einer Wilmersdorfer Witwe oder eines Charlottenburger Geschäftsmannes landen.

www.juwelier-carl-schuhmann.de